Mögliche Entschädigungsansprüche wegen Betriebsschließung aufgrund der Corona Virus Pandemie
Im Rahmen der Corona Virus Pandemie wurde eine Vielzahl von Betrieben durch behördliche Anordnung geschlossen bzw. Tätigkeiten untersagt. Dieser Aufsatz von Rechtsanwalt Michael Falter, Managing Partner der Deloitte Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, untersucht, inwiefern den Betroffenen Entschädigung für die erlittenen wirtschaftlichen Nachteile zustehen könnte.
Entschädigungsansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz
Autor: Rechtsanwalt Michael Falter, Partner der Deloitte Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Die Corona Virus Pandemie hat zu tiefgreifenden Veränderungen des gesellschaftlichen und sozialen Lebens geführt. Das öffentliche Leben ist weitgehend zum Stillstand gekommen, was auch zu erheblichen Folgen für die Wirtschaft führt. Erstmalig wurden in der Bundesrepublik Deutschland flächendeckend private Unternehmen wie Fitnessstudios, Hotels, Restaurants, Friseursalons, Kosmetikstudios usw. durch behördliche Anordnungen geschlossen. Die daraus resultierenden Verluste für die betroffenen Unternehmen sind immens, und viele Betroffene stellen sich die Frage, ob es nicht neben der Gewährung von staatlich verbürgten Darlehen auch Entschädigungen für die erlittenen wirtschaftlichen Nachteile gibt.
Die behördlichen Maßnahmen beruhen auf dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Ob sie insgesamt rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig, sind, ist nicht Gegenstand dieser Darstellung. Vielmehr wird für die Zwecke dieses Beitrags unterstellt, dass alle behördlichen Maßnahmen rechtmäßig waren.
Das Infektionsschutzgesetz sieht auch im Falle rechtmäßiger Maßnahmen der Behörden Entschädigungsregeln vor. Gegenstand dieses Beitrags ist die Darstellung dieser Entschädigungsregeln und unter welchen Voraussetzungen betroffene Personen und Unternehmen eine Entschädigung verlangen können.
1. Ermächtigungsgrundlagen des Infektionsschutzgesetzes
Das IfSG ermächtigt die zuständigen Behörden zu weitreichenden Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten und zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Die Zuordnung einer Maßnahme zu einer der beiden Gruppen entscheidet über Art und Umfang staatlicher Entschädigung und ist damit zentral für die Frage nach möglichen Entschädigungsansprüchen. Das Problem ist, dass im operativen Infektionsschutz eine feste Einheit zwischen Maßnahmen der Verhütung und der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten besteht1, die Abgrenzung also im Einzelfall schwierig aber zur Bestimmung von Entschädigungsansprüchen dennoch entscheidend ist2.
a. Verhütung übertragbarer Krankheiten
Im vierten Abschnitt des IfSG, §§ 15 bis 23a IfSG, sind die Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten geregelt. Zentrale Ermächtigungsgrundlage ist § 16 IfSG, der die Behörde ermächtigt, die notwendigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen, wenn Tatsachen festgestellt werden, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können.
Anknüpfungspunkt für Maßnahmen nach § 16 IfSG ist eine konkrete Gefahr der Infektion oder Erkrankung an einer übertragbaren Krankheit für den einzelnen Menschen3. Konkrete Gefahr meint eine Sachlage, die bei verständiger Würdigung bei ungehindertem Ablauf des zu erwarten Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung des vom IfSG geschützten Rechtsguts, der Freiheit des Einzelnen oder der Allgemeinheit vor Infektion oder übertragbarer Krankheit, führen wird.
Die Norm gibt der zuständigen Behörde auf, bei einem Gefahrenverdacht die Maßnahmen anzuordnen, die erforderlich sind, um Neuansteckungen zu verhindern. Die Behörde hat kein Entschließungsermessen, wohl aber ein Auswahlermessen, das weder auf bestimmte Maßnahmen noch auf Maßnahmen einer bestimmten Eingriffsintensität beschränkt ist4. Die Norm zielt also auf Maßnahmen der Infektionsprävention, mit dem Ziel einer Verhütung des Auftretens neuer Fälle5. Der vorbeugende Infektionsschutz umfasst alle individuellen, medizinischen, gesellschaftlichen oder staatlichen Maßnahmen, die geeignet sind, das Zustandekommen von Infektionen und Infektionskrankheiten zu verhindern, deren Verlauf günstig zu beeinflussen und schädlichen Folgen entgegenzuwirken6.
Maßnahmen des Massenschutzes sowie begleitende allgemeine Maßnahmen sind dem Bereich der Infektionsprävention zuzuordnen7 und fallen damit in den Anwendungsbereich des § 16 IfSG.
Wie § 16 Abs. 3 IfSG zeigt, kann die Abgrenzung von Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten bei Epidemien von solchen der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten nicht in rein zeitlicher Hinsicht erfolgen. § 16 Abs. 3 IfSG setzt vielmehr den Verdacht auf eine epidemische Lage gerade voraus, was verdeutlicht, dass auch während einer Epidemie noch Maßnahmen dem Bereich der Infektionsverhütung zuzuordnen sein können und regelmäßig auch sein werden. Entsprechend werden in der Literatur als Anwendungsbeispiele für Maßnahmen nach § 16 IfSG auch das Verbot von Versammlungen bei drohender Pandemie oder Badeverbote bei Grenzwertüberschreitungen genannt8.
b. Bekämpfung übertragbarer Krankheiten
Im fünften Abschnitt des IfSG, §§ 24 bis 32 IfSG, sind Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten geregelt. Zentrale Ermächtigungsgrundlage ist § 28 IfSG, der, wie § 10 IfSG im Bereich der Verhütung übertragbarer Krankheiten, die Behörde ermächtigt, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.
Anknüpfungspunkt für Maßnahmen nach § 28 IfSG ist ein Kranker, Krankheitsverdächtiger, Ansteckungsverdächtiger oder Ausscheider oder ein Verstorbener, der krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten richten sich also gegen eine von einer bestimmten Person oder einem Verstorbenen ausgehende Gefahr der Infektion oder Erkrankung an einer übertragbaren Krankheit. Sie gestattet der zuständigen Behörde die Anordnung der notwendigen Schutzmaßnahmen.
Maßnahmen der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten verfolgen das Ziel, existierende Krankheitsfälle zu erfassen, zu behandeln und von ihnen ausgehende Infektionsgefahren zu beseitigen (antiepidemische Maßnahmen)9. Antiepidemische Maßnahmen sind behördlich angeordnete Schutzmaßnahmen zur gezielten Bekämpfung eines Infektionsgeschehens. Sie umfassen insbesondere das Klären der Ursache eines Geschehens und Maßnahmen zu ihrer Beseitigung, das Erfassen aller Ansteckungsverdächtigen, Infizierten und Erkrankten und Veranlassen der notwendigen Maßnahmen zum Verhindern einer Weiterverbreitung sowie den Schutz gefährdeter Personen. Begleitet werden die antiepidemischen Maßnahmen durch Maßnahmen der Infektionsprävention. Zu unterscheiden sind Maßnahmen des Einzelschutzes und des Massenschutzes10.
Deutlich wird durch diese Erläuterungen und Begriffsdefinitionen, dass die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten stets an dem individuellen Krankheitsfall ansetzt und von diesem Einzelfall ausgehend, die Behörde die notwendigen Maßnahmen zuerst gegen die betroffene Person, den Störer im polizeirechtlichen Sinne, richtet und erst in zweiter Linie gegen den Nichtstörer.
Die Unterscheidung zwischen seuchenhygienischen Störern und Nichtstörern wird damit zentral auch für die Frage der Entschädigung. Nach allgemeinen Grundsätzen ist Störer eine Person, von der eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Dies ist bei einem Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheider oder einem Verstorbenen, der krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, der Fall. Maßnahmen gegen ihn richten sich also gegen den seuchenhygienischen Störer.
In einer ersten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart, in dem es allerdings nur um die grundsätzliche Frage der Rechtmäßigkeit des Verbots des Late-Night-Shoppings im Eilverfahren ging, hat es das Gericht für die Anwendung des § 28 IfSG genügen lassen, dass in der betroffenen Stadt ein Fall einer Corona Erkrankung nachgewiesen wurde, um das Verbot des Late-Night-Shopping als Maßnahme der Infektionsbekämpfung zu qualifizieren11. Das Gericht setzt sich in der Entscheidung aber nicht ausdrücklich mit der Frage auseinander, ob es sich um eine Maßnahme der Infektionsverhütung oder der Infektionsbekämpfung handelt, sondern unterstellt dies schlicht. Die Ausführungen zur Ansteckungsgefahr bei hoher Besucherzahl überzeugen insoweit nicht. Zwar mag es richtig sein, dass die Maßnahme im Ergebnis untersagt werden durfte, um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Die abstrakte Möglichkeit, dass sich unter den Besuchern auch ein Kranker befinden könnte, kann aber nicht ausreichen um die Maßnahme auf § 28 IfSG zu stützen. Es handelt sich vielmehr um eine Maßnahme der Infektionsprophylaxe nach § 16 IfSG.
Bereits die Begründungen der erlassenen Allgemeinverfügungen zeigen, dass es regelmäßig (auch) um Maßnahmen der Infektionsverhütung und nicht (nur) um Maßnahmen der Infektionsbekämpfung geht. So wurden die Betriebsschließungen in Bayern damit begründet, dass die Ausbreitung verlangsamt werden muss und damit die Belastung für das Gesundheitswesen reduziert werden muss, um die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen12. Es handelt sich damit um Maßnahmen des Massenschutzes, die darauf abzielen, neue Infektionen zu verhindern, indem soziale Kontakte reduziert werden. Mit diesen Maßnahmen werden keine konkreten Krankheitsfälle erfasst oder bekämpft. Die Maßnahmen sind ungezielt und dienen alleine der Verhütung neuer Krankheitsfälle, nicht aber der gezielten Bekämpfung der von Kranken ausgehenden Gefahren.
c. Fazit
Maßnahmen des Massenschutzes, die nicht als Reaktion auf konkrete Krankheitsfälle sondern zur Verhütung weiterer Krankheitsfälle ergriffen werden, stellen präventive Maßnahmen dar, die ihre Grundlage in § 16 IfSG finden und nicht in § 28 IfSG.
2. Folgen falscher Rechtsgrundlage
Die von staatlichen Stellen verfügten Maßnahmen wurden undifferenziert teilweise auch auf § 16 IfSG, teilweise (und wohl überwiegend) nur auf § 28 IfSG gestützt.
Fraglich ist, welche Folgen sich daraus ergeben, wenn die Behörde eine Anordnung auf Grundlage des § 28 IfSG trifft, die Maßnahme aber in Wahrheit dem präventiven Infektionsschutz und damit dem Anwendungsbereich des § 16 IfSG zuzurechnen ist. Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist anerkannt, dass die Nennung einer falschen Rechtsgrundlage nicht zur Rechtswidrigkeit einer Verfügung führt, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer einschlägigen Rechtsgrundlage vorliegen und am Spruch des Ausgangsbescheides nichts Wesentliches geändert wird13. Die erlassenen Allgemeinverfügungen bleiben also auch dann rechtmäßig, wenn sie von der erlassenden Behörde auf § 28 IfSG gestützt wurden, in Wahrheit aber dem präventiven Infektionsschutz dienen und damit auf § 16 IfSG zu stützen sind.
Zwar handelt es sich vorliegend um Ermessensentscheidungen, so dass grundsätzlich daran gedacht werden könnte, eine im Rahmen der Prüfung des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO erforderliche Umdeutung könnte daran scheitern, dass die Behörde in Bezug auf § 16 IfSG keinerlei Ermessen ausgeübt hat. Das ist aber vorliegend nicht der Fall. Vielmehr haben die erlassenden Behörden von dem ihnen eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht. Das ergibt sich bereits aus den Begründungen. Sie haben (teilweise) lediglich die falsche Norm zitiert, was nicht zu einem Ermessensausfall führt.
3. Folgen für Entschädigungsansprüche
Das IfSG enthält eigene Entschädigungsregeln, die neben den Grundsätzen des allgemeinen Staatshaftungsrechts zur Anwendung kommen.
Der 12. Abschnitt des IfSG, §§ 56 bis 68 IfSG, regelt die Entschädigung für Maßnahmen nach dem IfSG. Zentrale Normen sind §§ 56 und 65 IfSG. § 56 IfSG regelt den Verdienstausfall, den ein Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern in Folge eines gegen ihn gerichteten Arbeitsverbots erleidet. Für Maßnahmen des präventiven Infektionsschutzes regelt § 65 IfSG Entschädigungsansprüche. Danach sind die nicht nur unwesentlichen Vermögensnachteile auszugleichen, die jemand aufgrund einer Maßnahme nach den §§ 16, 17 IfSG erleidet.
a. Ansprüche nach § 56 IfSG
Tatbestandlich setzt § 56 IfSG eine Verfügung nach § 31 IfSG voraus, also ein berufliches Tätigkeitsverbot gegen einen Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheider. Nach der systematischen Stellung und diesem Anknüpfungspunkt handelt es sich um eine Maßnahme der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Sie dürfte in der gegenwärtigen Situation vor allem denjenigen Personen helfen, die wegen Krankheitsverdachts unter Quarantäne gestellt wurden, ohne tatsächlich krank zu sein oder bereits wieder genesen sind und trotzdem wegen Ansteckungsverdachts noch unter Quarantäne bleiben müssen.
§ 56 IfSG gewährt eine Entschädigung in Höhe des Verdienstausfalls in voller Höhe für die ersten sechs Wochen und danach in Höhe des Krankengeldes nach § 47 Abs. 1 des fünften Buches Sozialgesetzbuch, § 56 Abs. 2 IfSG.
Die Vorschrift gilt nicht nur für Arbeitnehmer sondern gewährt auch Selbstständigen einen Ersatz des Verdienstausfalls (§ 56 Abs. 2 IfSG) sowie eine Entschädigung für die weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben (§ 56 Abs. 4 IfSG).
Zu beachten ist, dass Entschädigungsansprüche nach § 56 IfSG binnen einer Frist von drei Monaten geltend zu machen sind.
b. Ansprüche nach § 65 IfSG
Eine Entschädigung nach § 65 IfSG setzt tatbestandlich eine Maßnahme nach den §§ 16 oder 17 IfSG voraus. Eine Entschädigung soll nach dem Willen des Gesetzgebers nur der seuchenhygienische Nichtstörer erhalten14. Daraus folgt, dass grundsätzlich nach dem IfSG gilt, dass Maßnahmen der Infektionsprophylaxe, die sich gegen den Nichtstörer richten, entschädigungspflichtig sind, während Maßnahmen der Infektionsbekämpfung nicht entschädigt werden, da sie sich gegen den Störer richten.
Der Höhe nach bestimmt § 65 IfSG, dass eine Entschädigung in voller Höhe des durch die Maßnahme erlittenen Vermögensverlustes zu erbringen ist. Der Anspruch folgt damit den Grundsätzen des allgemeinen Schadensersatzrechts, wonach der Geschädigte so zu stellen ist, wie er ohne die Anordnung stehen würde. Er darf aber auch nicht besser stehen und ist verpflichtet, den Schaden so weit möglich zu mindern, § 65 Abs. 2 IfSG.
Für den Anspruch nach § 65 IfSG gilt die Frist von drei Monaten nicht.
c. Prozessuales
Alle Ansprüche sind gegen das Land zu richten, in dem die Anordnung erlassen worden ist, § 66 IfSG. Im Streitfall sind die ordentlichen Gerichte zuständig, § 68 IfSG.
Fraglich ist, ob der Anspruch entfällt, wenn sich herausstellen sollte, dass die Allgemeinverfügungen teilweise rechtswidrig waren. Dies könnte sich aus dem in § 839 Abs. 3 BGB statuierten Verbot des „dulde und liquidiere“ ergeben. Danach muss der Verletzte grundsätzlich gegen eine rechtswidrige behördliche Anordnung Primärrechtsschutz in Anspruch nehmen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen aber nicht vor, da sie eine schuldhafte Nichteinlegung eines Rechtsmittels voraussetzt. Dabei gilt im Grundsatz, dass der Bürger auf die Richtigkeit einer amtlichen Belehrung vertrauen darf und es ihm nicht zum Nachteil gereichen darf, wenn er nicht klüger als der Beamte ist15. Es gibt vorliegend für die Betroffenen angesichts der gleichartigen Handlungen sämtlicher Behörden unter Führung der Bundesregierung keinen Grund, an der Rechtmäßigkeit der Anordnungen zu zweifeln. Selbst wenn sich also herausstellen sollte, dass einzelne der angeordneten Maßnahmen nicht rechtmäßig gewesen sein sollten, kann dies nicht dazu führen, dass dem Einzelnen die schuldhafte Nichteinlegung eines Rechtsmittels vorgeworfen wird. Vielmehr darf der Bürger in einer historisch einmaligen Situation, in der weltweit vergleichbare Maßnahmen von Behörden angeordnet werden und in der die gesamte Exekutive einheitlich strikte Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von SARS-CoV-2 Virus-Infektionen verfügt, darauf vertrauen, dass die anordnenden Behörden rechtmäßig handeln.
4. Anwendungsbeispiel Schließungen von Fitnessstudios
Mit Allgemeinverfügung vom 16. März 2020 hat die Stadt Köln zur Verhütung der Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 Virus-Infektionen unter Ziffer I.3. verfügt, dass alle Fitnessstudios zu schließen sind. Die Anordnung wurde auf §§ 16 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1 S. 2 IfSG gestützt.
Fraglich ist zunächst, ob die Schließung sämtlicher Fitnessstudios im Stadtgebiet Köln eine Maßnahme der Verhütung oder Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ist, also auf § 16 IfSG oder § 28 IfSG gestützt werden muss. Unterstellt, in dem betroffenen Fitnessstudio sind keine Krankheitsfälle nachgewiesen worden, dann handelt es sich nach den vorstehenden Grundsätzen um eine Maßnahme der Infektionsprophylaxe nach § 16 IfSG. Die Behörde ist auch grundsätzlich, freilich unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, ermächtigt, eine solche Maßnahme anzuordnen, da die Generalklausel des § 16 IfSG der Behörde einen weiten Ermessensspielraum einräumt.
Der Betreiber des Fitnessstudios ist verpflichtet, der Anordnung Folge zu leisten und das Studio zu schließen. Auch gegen die Allgemeinverfügung eingelegte Mittel des einstweiligen Rechtsschutzes würden ihn wegen § 16 Abs. 8 IfSG davon nicht befreien. Da er das Studio aus Rechtsgründen nicht mehr öffnen kann, werden die Mitglieder für den Zeitraum der Schließung frei von der Pflicht zur Beitragszahlung. Dies folgt unmittelbar aus § 326 BGB, der die Pflicht zur Gegenleistung entfallen lässt, wenn die Hauptleistung (hier die Ermöglichung der Nutzung des Fitnessstudios) unmöglich wird16.
Der Betreiber des Fitnessstudios hat dann gegen das Land Nordrhein-Westfalen einen Anspruch aus § 65 Abs. 1 IfSG auf Entschädigung in Höhe des erlittenen Vermögensnachteils. In diesem Fall also in Höhe der entgangenen Mitgliedsbeiträge. Allerdings muss er sich das anrechnen lassen, was er aufgrund der Schließung eingespart hat oder hätte einsparen können.
5. Ergebnis
Viele der Maßnahmen, die von den Behörden zur Verhütung einer Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 Virus-Infektionen angeordnet wurden, sind Maßnahmen der Infektionsverhütung, die nur auf § 16 IfSG gestützt werden können. Sie sind damit, auch wenn sie sich als rechtmäßig erweisen sollten, nach § 65 IfSG entschädigungspflichtig. Die Vorschrift des § 65 IfSG hat bislang ein Schattendasein geführt. Rechtsprechung dazu ist, soweit ersichtlich, nicht verfügbar. Sie dürfte aber in den kommenden Monaten erhebliche Bedeutung bei der Folgenbeseitigung der Corona-Krise bekommen.
Fussnoten
1 Robert-Koch-Institut, Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie, Fachwörter – Definitionen – Interpretationen, Stichwort „Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“
2 Zur Schwierigkeit dieser Abgrenzung auch bereits die Gesetzesbegründung zum Bundesseuchengesetz, BTDrucksache 8/3176, S. 38
3 Gerhardt, IfSG, 3. Aufl. 2020, § 16, Rn. 4
4 Gerhardt, IfSG, 3. Aufl. 2020, § 16, Rn. 16
5 Robert-Koch-Institut, Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie, Fachwörter – Definitionen – Interpretationen, Stichwort „Infektionsprophylaxe“
6 Robert-Koch-Institut, Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie, Fachwörter – Definitionen – Interpretationen, Stichwort „Infektionsprophylaxe“
7 Robert-Koch-Institut, Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie, Fachwörter – Definitionen – Interpretationen, Stichwort „Antiepidemische Maßnahmen“
8 Erdle, IfSG, 7. Aufl. 2020,§ 16, Rn. 1
9 Robert-Koch-Institut, Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie, Fachwörter – Definitionen – Interpretationen, Stichwort „Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“
10 Robert-Koch-Institut, Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie, Fachwörter – Definitionen – Interpretationen, Stichwort „Anitepidemische Maßnahmen“
11 VG Stuttgart, Beschluss vom 14.3.2020, Az 16 K 1466/20, BeckRS 2020, 3739
12 Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege und des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.3.2020, Az 51-G8000-2020/122-67
13 BVerwG Urteil vom 12.4.1991, 8 C 92/89, NVwZ 1991, 999; BVerwG, Urteil vom 1.7.1999, 4 C 23/97, NVwZ 2000, 195, 196; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9.9.2013, 1 B 748/13, BeckRS 2013, 55813; Decker in: Posser/Wolf, BeckOK VwGO, 52. Edition, Stand: 1.1.2020, § 113, Rn. 12
14 Erdle, IfSG, 7. Auflage 2020, § 65; Gerhardt, IfSG, 3. Aufl. 2020, § 65, Rn. 2.
15 BGH, Urteil vom 15.11.1990, II ZR 302/ 89 (stRspr); Sprau in: Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 839, Rn. 71.
16 Teilweise wird mit guten Argumenten vertreten, dass es sich um einen Fall der Störung der Geschäftsgrundlage handelt, die einen Anpassungsanspruch nach sich zieht, § 313 BGB. Auch diese Lösung gelangt aber zu dem Ergebnis, dass dem Betreiber des Fitnessstudios für die Dauer der Schließung ein Anspruch auf den Mitgliedsbeitrag nicht zusteht.