Wegfall der Geschäftsgrundlage auf Grund von Corona?

Dr. Philip Rödiger, Rechtsanwalt sowie Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Fachanwalt für Steuerrecht und Fachberater (DStV e.V.) für Unternehmensnachfolge in München

Die Auswirkungen der aktuellen Pandemie stören die Geschäftsgrundlage vieler Unternehmen massiv – mit der Folge, dass § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs womöglich zur Anwendung kommen könnte.

Lesen Sie hier die Einschätzung von Dr. Philip Rödiger LL.M.oec. Er ist Rechtsanwalt sowie Fachanwalt für Handels- & Gesellschaftsrecht und Fachanwalt für Steuerrecht und Fachberater (DStV e.V.) für Unternehmensnachfolge mit Kanzleisitz in München.

 

Aktuell herrscht in Deutschland, Europa und beinahe der gesamten Welt ein Ausnahmezustand. Das hoch ansteckendes Virus Covid 19 beziehungsweise SARS-CoV-2 hat dafür gesorgt, dass in Deutschland das öffentliche und wirtschaftliche Leben bis auf ein unumgängliches Mindestmaß eingestellt wurde. Dieser Zustand dauert nun – mit temporären Lockerungen - bereits seit einem Jahr an. Es ist offenkundig, dass dies eine einschneidende Maßnahme für tausende von Betrieben darstellt, mit den entsprechenden wirtschaftlichen Folgen. So werden die Verwerfungen der Pandemie unsere Gesellschaft und insbesondere auch die Wirtschaft noch lange beeinflussen. Die Auswirkungen der Pandemie könnten zu einer Anwendbarkeit von § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sowie zum Wegfall der Geschäftsgrundlage führen.

 

 
313 BGB – Störung der Geschäftsgrundlage

(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.

(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.

 

§ 313 BGB regelt also die Störung der Geschäftsgrundlage in einer Vertragsbeziehung. Dabei wird unterschieden zwischen dem Wegfall einer Geschäftsgrundlage (Abs 1) und dem Fehlen einer Geschäftsgrundlage (Abs 2). Es ist schnell geklärt, ob ein Vertrag vorliegt. Deutlich weniger klar ist hingegen, was unter Geschäftsgrundlage zu verstehen ist.

Begriffsbestimmung

Die Maßstäbe zur Bewertung der Grundlage eines Geschäfts folgen der Überlegung, dass jeder Vertrag von den Beteiligten im Hinblick auf bestimmte bestehende Verhältnisse abgeschlossen wird, ohne die der Vertrag seinen Zweck nicht erfüllen kann. Tritt nach Vertragsschluss eine von keiner Partei vorhergesehene völlige Veränderung dieser bestehenden Verhältnisse ein, die den Sinn und Zweck der Vereinbarung gänzlich in Frage stellen, liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage vor. Es wäre mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 157 BGB, § 242 BGB) unvereinbar, wenn in diesem Fall der unverhältnismäßig benachteiligte Vertragsteil zu unveränderten Konditionen am Vertrag festgehalten würde. An welcher Grundlage die Parteien jeweils festzuhalten sind, kann sowohl unter subjektiver als auch objektiver Geschäftsgrundlage verstanden werden.

 

Subjektive Geschäftsgrundlage

Unter subjektiver Geschäftsgrundlage sind die Vorstellungen zu verstehen, von denen die Geschäftsparteien bei ihrer Vereinbarung ausgegangen sind und sich haben leiten lassen; dies ist zwischenzeitlich in § 313 II BGB kodifiziert.

 

Objektive Geschäftsgrundlage

Regelmäßig werden sich die Parteien bei Vertragsschluss über Verhältnisse, die von ihnen als selbstverständlich angesehen werden, keine Gedanken machen. Das können beispielsweise das Wirtschaftssystem, die Währung oder die Privatautonomie im Zivilrecht sein. Es muss sich also um für den Vertragsschluss wesentliche Umstände handeln, die keiner Partei bewusst gewesen sind. Für diese Umstände gilt, sofern eine wesentliche Veränderung eintritt, die eine Vertragserfüllung als sinn- und zwecklos erscheinen lassen, dass ein Festhalten des unverhältnismäßig benachteiligten Vertragsteils am Vertrag zu unveränderten Konditionen dem Prinzip von Treu und Glauben widerspräche. Gleiches gilt natürlich, sofern diese Umstände komplett wegfallen. Anwendbar ist § 313 BGB auf alle schuldrechtlichen Verträge, also auch auf Vorverträge. Damit ist § 313 BGB potenziell für jeden Gewerbebetrieb von Relevanz. Denn es bestehen in jedem Gewerbebetrieb zahlreiche schuldrechtliche Verträge, wie etwa Liefer- oder Bezugsverträge für Ware, Material, Güter oder Energie.

 

Tatbestand

Tatbestandsmäßig erfordert § 313 BGB neben tatsächlichen Gegebenheiten eine hypothetische Betrachtung. Die Parteien müssten den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen haben, wenn sie die Änderung vorausgesehen hätten. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Schließlich muss das Festhalten am Vertrag für eine der Parteien unzumutbar sein. Für die Unzumutbarkeit der unveränderten Vertragsdurchführung ist grundsätzlich erforderlich, dass ein Festhalten an der ursprünglichen Regelung zu untragbaren Härten und einem mit Recht und Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und die beiderseitigen Interessen abzuwägen. Die Frage der Unzumutbarkeit wird daran gemessen, ob die Grenzen der Risikozuweisung überschritten sind. Für die Berücksichtigung von Störungen der Geschäftsgrundlage ist kein Raum, wenn nach der vertraglichen oder gesetzlichen Regelung derjenige das Risiko zu tragen hat, der sich nunmehr auf die Störung beruft. Ebenso wenig ergibt sich eine Störung durch einen unvorhergesehenen deutlichen Vorteil für eine der Vertragsparteien. Soweit infolge der politischen oder gesellschaftlichen Reaktionen auf eine Pandemie nur die allgemeine Vermögenssituation einer Vertragspartei betroffen ist, so dass ihr die Erfüllung der vertraglichen Pflichten erschwert oder unmöglich gemacht wird, findet § 313 BGB keine Anwendung. Und soweit die Erfüllung einer vertraglichen Leistungspflicht durch eine Intervention des Gesetzgebers verboten wird, greift nicht § 313 BGB, sondern § 275 Absatz 1 Fall 2 BGB ein (vgl von Göler (Hrsg.) / Arvid Siebert / § 313)§ 313 BGB kommt demnach nur zur Anwendung, wenn die vertraglichen Leistungen zwar grundsätzlich noch erbracht werden können, ihr von beiden Parteien vorausgesetzter Gehalt sich aber infolge der politischen Reaktionen auf die Pandemie fundamental geändert hat. Das kann etwa der Fall sein, wenn durch einen gesetzlich angeordneten Lockdown der Absatz von Gütern unmöglich wird.

 

Rechtsfolge

Grundgedanke des Rechtsinstituts Wegfall der Geschäftsgrundlage ist, dass ein Festhalten am Vertrag zu den ursprünglich vereinbarten Konditionen unzumutbar und unbillig wäre (von Göler (Hrsg.) / Arvid Siebert / § 313). Rechtsfolge kann daher nur eine interessengerechte Anpassung des Vertrags an die tatsächlich bestehenden Verhältnisse nach dem Maßstab der Zumutbarkeit für die Parteien sowie unter weitestmöglicher Berücksichtigung ihres Vertragswillens sein. Das Spannungsverhältnis zwischen den jeweils unterschiedlichen Interessen mit Blick auf den Vertrag erfordert, dass der Eingriff in die bestehende vertragliche Regelung möglichst gering zu halten ist. Diesen Anspruch gewährt § 313 Absatz 1 BGB der benachteiligten Partei. Es handelt sich also um eine Einrede. Vorrangig ist, dass die Parteien Verhandlungen über eine Vertragsanpassung führen. Als Instrumente der Vertragsanpassung kommen je nach den Umständen des Falls unter anderem in Betracht:

  1. Eine Herabsetzung oder Aufhebung einer Verbindlichkeit
  2. Die Gewährung von Teilzahlungen oder eine Stundung der Zahlungsverpflichtung
  3. Die Erhöhung einer entwerteten Gegenleistung
  4. Die Begründung von Ansprüchen auf Rückübertragung der Kaufsache
  5. Ersatz des entgangenen Gewinns oder Ersatz von Aufwendungen
  6. Eine Änderung der Risikoverteilung zwischen den Parteien

 

Rücktritt vom Vertrag oder Kündigung

Es ist vorstellbar, dass eine Vertragsanpassung nicht möglich oder der Partei, die von der Störung betroffen ist, nicht zumutbar ist. In einem solchen Fall gewährt § 313 Absatz 5 BGB subsidiär die Möglichkeit zur Vertragsauflösung durch Rücktritt vom Vertrag. Für einen derartigen Rücktritt gelten im Übrigen die allgemeinen Voraussetzungen. Abweichend zu beurteilen sind Dauerschuldverhältnisse. Bei diesen tritt gemäß § 313 Absatz 3 Satz 2 BGB an die Stelle des Rücktritts das Recht zur Kündigung. Dauerschuldverhältnisse sind solche Schuldverhältnisse, deren Abwicklung sich nicht in einmaligen Leistungen erschöpft, sondern einen mehr oder minder langen Zeitraum ausfüllt, da sie entweder ein dauerndes Verhalten oder in bestimmten Zeitabschnitten wiederkehrende einzelne Leistungen zum Inhalt haben. Darin unterscheiden sich Dauerschuldverhältnisse von Ratenlieferungsverträgen als sogenannte echte Sukzessiv-Lieferungsverträge, so dass während der Laufzeit jeweils neue Leistungspflichten entstehen. Darüber hinaus ist in § 314 BGB auch die Kündigung aus wichtigem Grund vorgesehen.

 

Subjektive Geschäftsgrundlage

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Fraglich ist, ob die von hoheitlicher Seite verfügte Schließung vieler Geschäfte einen Wegfall der subjektiven Geschäftsgrundlage zur Folge hat. Subjektive Geschäftsgrundlage ist die Summe der Umstände, welche die Parteien bei Vertragsschluss bedacht und von denen Sie sich haben leiten lassen. Es ist nicht anzunehmen, dass irgendeine Vertragspartei sich bei Vertragsschluss vor Ausbruch der Pandemie darüber Gedanken gemacht hat, ob es ihr in Zukunft noch gestattet sei, den eigenen Betrieb weiter zu führen beziehungsweise das eigene Geschäft zu betreiben. Da die hoheitlich verfügte Schließung von Geschäften und Betrieben über einen mehrwöchigen Zeitraum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine der Parteien bei Vertragsschluss bedacht hatte, führt die Corona-Pandemie folglich nicht zu einem Wegfall der subjektiven Geschäftsgrundlage.

 

Objektive Geschäftsgrundlage

Jede Partei wird davon ausgegangen sein, dass es ihr möglich sein wird, auch zukünftig den Betrieb und das Geschäft ebenso weiter zu führen beziehungsweise zu betreiben, wie in der Vergangenheit. Das haben beide Parteien als selbstverständlich vorausgesetzt. Durch den Lockdown hat sich dieses als selbstverständlich vorausgesetzte Moment als Irrtum erwiesen. Daher ist ein Wegfall der objektiven Geschäftsgrundlage gegeben. Dieses Rechtsinstitut ist grundsätzlich auch auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie anwendbar.

 

Kaufverträge und ähnliche Verträge

Nachdem das normative und reale Element des Tatbestands erfüllt sind, wird zusätzlich das hypothetische Element vorausgesetzt. Es muss für die benachteiligte Partei unzumutbar sein, an den ursprünglichen Vertrag gebunden zu bleiben. Ob dieses Moment gegeben ist, muss im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung beurteilt werden. Auch wenn die Corona-Pandemie grundsätzlich die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 313 BGB erfüllt, kommt als Tatbestandsmerkmal des hypothetischen Elements nur das im jeweiligen Einzelfall ausschlaggebende in Betracht.

Nachdem die Rechtsprechung zu Beginn der Pandemie sehr zurückhaltend mit einer Anwendung des § 313 BGB auf Coronabedingte Fallkonstellationen war, hat sich dies im Verlaufe des letzten Jahres geändert (von Göler (Hrsg.) / Arvid Siebert / § 313) So hat das LG München I mit Endurteil vom 22.09.2020 zum Az 3 O 4495/20 einem Mieter Recht gegeben, der auf Mietminderung geklagt hatte. Das Landgericht bejaht einen Wegfall der Geschäftsgrundlage mit der Begründung „da die Parteien die Folgen einer eintretenden Coronapandemie und Infektionsschutzmaßnahmen durch den Staat offenkundig nicht bedacht haben und so den Vertrag kaum geschlossen hätten (vgl. § 313 Abs. 1, Abs. 2 BGB).“ 

 

Beispiel Modegeschäft

Ein Modegeschäft hat bereits im Herbst des vergangenen Jahres die Kollektion für dieses Frühjahr bestellt. In der Woche, in der die Ware geliefert werden sollte, war das Geschäft bereits aufgrund des Lockdown geschlossen. Wieder öffnen darf das Geschäft in der letzten Aprilwoche. Zu dieser Zeit ist die Frühjahrsmode als Saisonware bereits nicht mehr gefragt und kann nicht mehr verkauft werden. Die vertraglichen Leistungen – Lieferung der Ware und Verkauf mit deutlichem Preisnachlass – kann zwar grundsätzlich noch erbracht werden, aber der von beiden Parteien veranschlagte Wert hat sich infolge der politischen Reaktionen auf die Pandemie fundamental verändert. Es ist nicht ersichtlich, weswegen dieses – für keine Partei vorhersehbare – Risiko allein der Betreiber des Modegeschäfts tragen soll. Andererseits wird es möglich und zumutbar gewesen sein, auch während des Lockdown einen Internetshop zu betreiben. Daher dürfte hier ein sachgerechter Ausgleich in einem spürbaren Preisnachlass durch den Lieferanten liegen (§ 313 Absatz 1 BGB). 

 

Beispiel produzierendes Unternehmen

Ein produzierendes Unternehmen, das auf die Herstellung von Hebeliften für ergonomisches Arbeiten in der Industrie spezialisiert ist, hat in Erwartung einer weiterhin guten Konjunktur ein wichtiges Bauteil für einen achtmonatigen Bedarf im Voraus bestellt. Dabei handelt es sich um 10.000 Stück für die Produktion von 3.000 Maschinen. Aufgrund der Pandemie und des damit verbundenen Konjunktureinbruchs geht der Hersteller aber davon aus, im veranschlagten Zeitraum maximal 500 Maschinen produzieren zu können. Auch hier ist nicht ersichtlich, warum der Maschinenbauer das für keine Partei ersichtliche Risiko allein tragen sollte. Hier dürfte ein interessengerechter Ausgleich sein, dass die Bestellung auf 500 Stück herabgesetzt werden kann, jedoch zu einem – unter Umständen deutlich – höheren Stückpreis für die bezogenen Teile (§ 313 Absatz 1 BGB). In diesem Fall besteht für den Geschäftsführer nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht, den Vertrag nach zu verhandeln, um den finanziellen Schaden für das Unternehmen möglichst gering zu halten.

 

Beispiel Kosmetikhersteller

Ein Kosmetikhersteller hat mit einem Testimonial einen Vertrag mit einer Laufzeit von zwei Jahren abgeschlossen. Das sechsstellige Honorar verteilt sich hälftig auf jeweils ein Jahr der Vertragslaufzeit. Zu den Leistungspflichten des Testimonial zählt die Bewerbung des Produkts in den sozialen Medien durch die berühmte Persönlichkeit sowie zwei Fotoshootings und die Teilnahme an Werbeveranstaltungen. Die Produkte des Kosmetikherstellers werden auch in eigenen Stores vertrieben, die mit den Fotos des Testimonial dekoriert werden. Bei Eintritt des Lockdown ist knapp die Hälfte der Vertragslaufzeit verstrichen und ein Fotoshooting absolviert. Aufgrund des Lockdown kann das weitere Fotoshooting für die neue Kollektion nicht stattfinden. Die Kunden können die Fotos des Testimonial in den Shops nicht mehr wahrnehmen, da diese geschlossen sind. Sämtliche Werbeveranstaltungen sind für längere Zeit abgesagt. Der Kosmetikhersteller möchte die zweite Hälfte des Vertragshonorars nicht mehr zahlen. Die Zwecklosigkeit des bestehenden Vertrags ist auf den Lockdown zurückzuführen. Es ist kein Grund erkennbar, weswegen eine der Vertragsparteien dieses Risiko allein tragen sollte, so dass ein Anspruch des Kosmetikherstellers auf Vertragsanpassung besteht. Diese könnte darin bestehen, die Vertragslaufzeit zu verlängern. Ein zweites Fotoshooting wird ersatzlos gestrichen, im Gegenzug wird das noch fällige Honorar deutlich reduziert (§ 313 Absatz 1 BGB). Auch hier besteht für den Geschäftsführer nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht, den Vertrag nach zu verhandeln, um den finanziellen Schaden für das Unternehmen möglichst gering zu halten.

 

Beispiel Gaststätte

Eine Gastwirtschaft hat mit einer Brauerei einen Bierbezugsvertrag inklusive einer Mindestabnahmemenge sowie einer Laufzeit von drei Jahren geschlossen. Die Gastwirtschaft hat erst kürzlich eröffnet, und der Betreiber ist gezwungenermaßen persönlich in den Vertrag mit der garantierten Mindestabnahme mit eingestiegen. Aufgrund der erst kürzlich erfolgten Eröffnung ist die Kapitaldecke der Gastwirtschaft zu gering, als dass sie den Lockdown und mehrere Wochen ohne Einnahmen hätte überstehen können. Sie muss schließen. Die Brauerei verlangt vom Betreiber die Erfüllung des Vertrags sowie eine monatliche Zahlung für eine Mindestmenge Bier. Auch in diesem Fall ist kein Grund ersichtlich, weswegen der Gaststättenbetreiber das Risiko allein tragen sollte. In diesem Fall steht ihm ein Kündigungsrecht nach § 313 Absatz 5 Satz 2 BGB zu. Darüber hinaus kann der Betrieb eine Versicherungsleistung wegen coronabedingter Schließung fordern – sofern eine solche Betriebsausfallversicherung bestand. Dies entschied das LG Magdeburg mit Endurteil vom 06. Oktober 2020 zum Az 31 O 45/20.

 

Fazit

Die Corona-Pandemie wird für die meisten Unternehmer die Möglichkeit eröffnen, unter Hinweis auf § 313 BGB solche Verträge, die bereits vor Eintritt des Lockdown abgeschlossen wurden, nachzuverhandeln. Hierbei gilt für beide Vertragsparteien, dass ein sachgerechter Ausgleich nur unter Berücksichtigung der Interessen beider Seiten gefunden werden kann. Die gegebenenfalls bestehende Vorstellung, sich ohne eigene Leistungserbringung von Verträgen lösen zu können, ist im Regelfall jedoch eine Illusion.

Eine ausführliche Kommentierung zum Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB findet sich im BGB-Kommentar, direkt einsehbar:

Siebert, Guijarro, §313 BGB Störung der Geschäftsgrundlage 

Eine Kommentierung für den Rechtsverkehr finden Sie hier und eine Kommentierung für juristische Experten ist hier veröffentlicht.

In diesem Zusammenhang ebenfalls von Interesse ist ggfs. auch der Artikel zum Entschädigungsanspruch nach dem Infektionsschutzgesetz von Michael Falter, Deloitte.

Rechtsanwalt Michael Falter

Fußnoten