Case-Study:

Causa VW

Die Kardinalfehler
Das sagt der Rechtsexperte:
Michael Falter
Rechtsanwalt, DWF

beziehe, verneint4. Daran ist richtig, dass die Hauptversammlung, will sie dem Vorstand nicht nur die Billigung vergangener Geschäftsführung versagen, sondern zudem für die Zukunft auch das Vertrauen entziehen, dies eben ausdrücklich tun muss. Soweit teilweise ein Widerspruch darin gesehen wird, wenn die Hauptversammlung die Entlastung verweigert aber nicht das Vertrauen entzieht5, kann dem nicht gefolgt werden. Die Missbilligung der vergangenen Geschäftsführung bedeutet nicht zwangsläufig, dass dem Vorstand auch für die künftige Unternehmensleitung das Vertrauen entzogen werden soll. Gerade wenn einzelne Vorgänge die Billigung vergangener Geschäftsführung nicht zulassen, etwa weil gravierende Gesetzesverstöße begangen wurden, muss es der Hauptversammlung möglich sein, die Geschäftsführung im vergangenen Jahr zu missbilligen. Im Einzelfall mag sie dennoch darauf vertrauen, dass die künftige Geschäftsführung ordnungsgemäß erfolgt. Die grundsätzlich formelle Führung der Aktiengesellschaft spricht gegen eine Auslegung des Entlastungsbeschlusses als Vertrauensentzug. Die Hauptversammlung kann jederzeit durch expliziten Beschluss das Vertrauen entziehen, so dass für Auslegung kein Raum ist, wenn sie dies nicht getan hat

Ob der Aufsichtsrat die Bestellung des Vorstands bei (ausdrücklichem) Vertrauensentzug tatsächlich widerruft, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Aufsichtsrats.

Die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung des Aufsichtsrats liegt dagegen bei der Hauptversammlung. Sie muss aber, will sie nicht nur die Missbilligung der Aufsichtsratstätigkeit im vergangenen Geschäftsjahr zum Ausdruck bringen sondern diese auch abberufen, einen Beschluss nach § 103 Abs. 1 AktG fassen, der einer Mehrheit von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen bedarf. Systematisch belegt dies, dass kein Widerspruch darin liegt, einerseits die vergangene Geschäftsführung nicht zu billigen, andererseits aber das Vertrauen für die künftige Tätigkeit auszusprechen.

 1.2. Entlastung des Vorstands in der Hauptversammlung am 22. Juni 2016

Die Hauptversammlung hat dem Vorstand Entlastung erteilt. Dies obwohl die Staatsanwaltschaft Braunschweig auf eine Anzeige der Bundesanstalt für Finanzaufsicht („BaFin“) hin, gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn und ein weiteres Vorstandsmitglied wegen Marktmanipulation ermittelt. Zudem wird gegen zahlreiche Mitarbeiter des Volkswagenkonzerns wegen der sogenannten Dieselaffäre unter anderem wegen Betrugs ermittelt. Die Frage ist, ob die Mehrheit der Aktionäre der Hauptversammlung, vorliegend genügten bereits die Stimmen des Großaktionärs Porsche-Holding PSE, im Lichte eines laufenden Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit der Vorstandstätigkeit dem Vorstand das Vertrauen aussprechen durfte und die Verwaltung der Gesellschaft trotz dieser Vorwürfe billigen durfte.

Nach ständiger Rechtsprechung sind Entlastungsbeschlüsse gerichtlich anfechtbar, wenn ein schwerwiegender und eindeutiger Verstoß gegen Gesetz oder Satzung vorliegt6. Ein solcher ist im vorliegenden Fall zwar nicht bewiesen, es besteht aber der für die Eröffnung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erforderliche Anfangsverdacht. Hinzu kommt, dass die BaFin nach Prüfung des Sachverhalts eine Strafanzeige erstattet hat. Dabei darf unterstellt werden, dass die BaFin als zuständige Behörde die Strafanzeige nicht leichtfertig, sondern nach sorgfältiger Prüfung des Sachverhalts erstattet hat. Die Frage verdichtet sich daher dahin, welche Sicherheit für das Vorliegen eines „schwerwiegenden und eindeutigen“ Gesetzesverstoßes zu fordern ist oder, anders gewendet, ob auch im Aktienrecht die gesetzliche Unschuldsvermutung bis zu einer (strafrechtlichen) Verurteilung gilt, wie dies das Land Niedersachsen bei seiner Enthaltung behauptet hat.


4 Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84, Rn. 111; Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 84, Rn. 38
5 Hoffmann in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 120, Rn. 29.
6 BGH, Urteil vom 18. Oktober 2004, Az. II ZR 250/02, NJW 2005, 828.

„Die Missbilligung der
vergangenen Geschäfts-
führung bedeutet nicht
zwangsläufig, dass dem
Vorstand auch für die
künftige
Unternehmensleitung
das Vertrauen entzogen
werden soll.“