Management-Blog
WirtschaftsWoche

Case-Study Teil 2:

Causa VW

Muss der Aufsichtsrat den Vorstand verklagen?
Das sagt der Rechtsexperte:
Dr. Christian Rolf
Partner, Willkie Farr & Gallagher LLP

aus. Es ist dann nur schwer vorstellbar, dass der Aufsichtsrat hier zum Schluss kommt, dass VW ein adäquates Compliance-System hatte.

Verfolgt man diesen Ansatz, kommt es für eine Regresshaftung gegen den Vorstand nicht darauf an, ob nun VW oder Bosch der Initiator der Manipulation ist und wer der „Herr“ der Software war, welche die Manipulation verschleiert hat. Der Effekt, nämlich das Inverkehrbringen zulassungswidriger Fahrzeuge ist stets derselbe. Bosch wäre in diesem Szenario ggf. aber ein weiterer Anspruchsgegner, gegen den ebenfalls Regressansprüche in Betracht kommen.

Kein Ermessen

Entgegen einer weitverbreiteten Vorstellung kommt dem Aufsichtsrat bei der Frage, ob ein Vorstand in Regress genommen wird, kein unternehmerisches Ermessen zu, was der BGH in der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung21 klargestellt hat:

„Eine Entscheidungsprärogative, die zur Beschränkung der gerichtlichen Nachprüf­barkeit führt, kann der Aufsichtsrat nicht in Anspruch nehmen. Bei der Prüfung des Bestehens und der Durchsetzbarkeit eines Schadensersatzanspruchs steht dem Auf­sichtsrat keine andere Aufgabe zu als jedem anderen, der in eigener oder fremder Sache ein Urteil über das Bestehen eines Anspruchs und die Aussichten einer ge­richtlichen Geltendmachung desselben abzugeben hat. Die Haltbarkeit und Richtig­keit seiner Beurteilung der Erfolgsaussichten einer gerichtlichen Anspruchsverfolgung sind im Streitfall vor Gericht grundsätzlich voll nachprüfbar, da es bis hierher nicht um Fragen des Handlungs-, sondern allein des Erkenntnisbereichs geht, für die allenfalls die Zubilligung eines begrenzten Beurteilungsspielraums in Betracht kom­men kann. Die Frage des Handlungsermessens kann sich nur dort stellen, wo eine Entscheidung zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten zu treffen ist. …. Da diese Entscheidung allein dem Unternehmenswohl verpflichtet ist, das grundsätzlich die Wiederherstellung des geschädigten Gesellschaftsvermögens verlangt, wird der Aufsichtsrat von der Geltendmachung voraussichtlich begründeter Schadensersatz­ansprüche gegen einen pflichtwidrig handelnden Vorstand nur dann ausnahmsweise absehen dürfen, wenn gewichtige Interessen und Belange der Gesellschaft dafür sprechen, den ihr entstandenen Schaden ersatzlos hinzunehmen.“

Diese Auffassung hat der BGH 2014 nochmals bestätigt.22 Der Aufsichtsrat muss seine Ent­scheidung „Regress ja oder nein“ allein am Unternehmenswohl ausrichten. Wenn man da­von ausgeht, dass VW kein funktionsfähiges Compliance-System hatte und der Vorstand seine Verantwortlichkeit nicht entkräften kann, muss der Aufsichtsrat in einem zweiten Schritt prüfen, ob „gewichtige Gründe“ gegen eine Rechtsverfolgung sprechen. Solche ge-



21 BGH, Urteil vom 21.4.1997 – II ZR 175/95.
22 BGH WM 2014, 1678.

„Der Aufsichtsrat muss seine Entscheidung ‚Regress ja oder nein‘ allein am Unternehmenswohl ausrichten.“