3. Haftung Wegen Versagens des Compliance-Systems
So richtig kann man nicht erwarten, dass die von VW jetzt eingesetzten zahlreichen Prüfer und damit die interne Untersuchung zu dem Ergebnis kommen, dass ein oder mehrere Vorstandsmitglieder VW individuell für den Skandal verantwortlich sind, zumal eine solche Verantwortlichkeit meist nicht nachvollziehbar dokumentiert sein wird. - Wer nimmt so etwas schon in ein Protokoll der Vorstandssitzung auf? Soweit also nicht die Strafverfolgungsorgane die individuelle Verantwortlichkeit feststellen, wird das intern kaum der Fall sein.
Aber: Ein Schadensersatzanspruch kann sich auch aus der Verantwortlichkeit für das Versagen des Compliance-Systems ergeben. In einem weit beachteten Fall hatte das Landgericht München I im Jahr 20136 im Zusammehgang mit der Siemens-Korruptionsaffäre die Vorstandspflichten bei der Organisation des Unternehmens im Hinblick auf die Vermeidung von Gesetzesverstößen wie folgt gefasst:
„Ein Vorstandsmitglied muss im Außenverhältnis sämtliche Vorschriften einhalten, die das Unternehmen als Rechtssubjekt treffen. Dazu gehören die Bestimmungen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts. Im Rahmen dieser Legalitätspflicht darf ein Vorstandsmitglied somit zum einen bereits keine Gesetzesverstöße anordnen, zum anderen muss ein Vorstandsmitglied aber auch dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine derartigen Gesetzesverletzungen stattfinden.“
Und obwohl diese Entscheidung nie rechtskräftig geworden ist, hat sie erhebliche Bedeutung in der Praxis7. Der Gesamtvorstand muss ein System einrichten und weiterentwickeln, das Gesetzesverletzungen verhindert.8 Dieses Prinzip wird auch Legalitätspflicht genannt.
Die Business Judgement Rule greift nicht
Zur Vollständigkeit sei darauf hingewiesen, dass die sog. Business Judgement Rule nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG hier nicht hilft, wonach ein Vorstand nicht pflichtwidrig handelt, wenn er auf Basis angemessener Informationen eine Geschäftsentscheidung zum Wohle der Gesellschaft trifft (was sich später als Fehlentscheidung entpuppt). Die Legalitätspflicht, um die es hier geht, steht nicht zur Disposition. Der Vorstand darf sich also nicht entscheiden, aus falsch verstandenem Unternehmenswohl Gesetze im In- oder Ausland zu brechen, um ggf. höhere Profite zu erwirtschaften. Es kommt nicht darauf an, ob Abgasnormen gerechtfertigt sind oder nicht, sondern nur darauf, dass sie einzuhalten waren9 und die Nichteinhaltung nicht durch eine Manipulation der Motoren verschleiert werden durfte. Eine Wahl, die
6 LG München I, Urteil vom 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345.
7 Fleischer, NZG 2014, 321: „Iconic Case“.
8 Fleischer, NZG 2014, 321f., Altmeppen, ZIP 2016, 97ff.
9 Zur Verletzung umweltrechtlicher Normen in der Vorstandshaftung etwa Menzer, GmbHR 2001, 506, 509.
„Die Business Judgement Rule greift im Falle Volkswagen nicht.“